Litauische Familiennamen – 2

Litauische Vor- und Familiennamen

Ein Aufsatz von Witold Peuster [1]

Wer sich mit Registern der Gebiete auf beiden Seiten der Memel befasst, wird, je weiter er die Dinge zurückverfolgt, auf einen zunehmend hohen Prozentsatz solcher Namen stoßen, die „fremdländisch“ klingen. Der Einfachheit halber sollen sie hier „litauische“ Namen genannt werden. Das ist zwar nicht völlig korrekt, weil auch Namensträger anderer baltischer Völker vertreten waren (so Pruzzen als die angestammten Einwohner, Kuren oder auch Letten); doch da es sich bei der großen Mehrheit um Litauer handelte und es für die folgende Betrachtung keinen entscheidenden Unterschied macht, um welche baltische Volkszugehörigkeit es konkret geht, soll es bei „litauisch“ bleiben.

Des Öfteren taucht für „litauisch“ auch das Wort „szamaitisch“ auf, was mit der angrenzenden litauischen Provinz zusammenhängt. Im Sprachgebrauch sind damit solche Litauer gemeint, die – im Gegensatz zu den bereits angesiedelten Litauern – nicht in „Preußisch Litauen“, sondern (unmittelbar) jenseits der Grenze gelebt hatten und sich erst seit kurzem in Preußen aufhielten.

Man muss sich zunächst an eine Reihe ungewohnter Vornamen gewöhnen. Einige Namen wie Catarina, Ewa oder Raggina verstehen sich von selbst, aber auch bei vielen weiteren liegt die deutsche Entsprechung bei kurzem Nachdenken rasch auf der Hand, etwa:

Adoms = Adam, Ansas = Hans, Dovids = David, Endrus = Andreas, Jokubs = Jakob, Jurgis = Georg (vgl. auch deutsch: Jürgen), Kristions = Christian, Kristups = Christoph, Mikkelis = Mich(a)el, Barbe = Barbara, Gryta = Grete, Elze = Elisabeth, Madlyna Magdalena, Maryke = Maria, um nur einige besonders häufige Beispiele zu nennen (gleich an dieser Stelle zur Erläuterung: Das „z“ in „Elze“ wird wie ein stimmhaftes anlautendes „s“ im Deutschen – etwa wie in Sommer — ausgesprochen, das litauische „y“ in „Maryke“ wie ein langes deutsches „i“).

Einige Namen bedürfen schon der Erläuterung wie Merczus = Martin, Endrikkis = Heinrich, Annussis = Johannes, Szule = Ursula. Busze = Barbara, Urte = Dorothea, Edwikke = Hedwig.

Sehr häufig waren im 18. Jahrhundert die deutschen Vornamen Erdmann (für Jungen) bzw. Erdmuth (für Mädchen), für die es auch im Litauischen Entsprechungen (Erdmann bzw. Erde) gab.

Viel häufiger als im Deutschen ist bei litauischen Namen auch die Verkleinerungsform (Diminutiv) anzutreffen, und das nicht nur im familiären Umgang, sondern bis hinein in die Kirchenbücher: Mancher Ansas (Hans) findet sich dort als Anskis, und die Form Elske (= kleine Else) ist bald häufiger anzutreffen als die Grundform selbst. Die „kleine Anna“ gar gibt es praktisch nur in der Verkleinerungsform, und das dann gleich in vier Varianten (Annikke, Ennikke, Annusze, Ennusze).

Ist das alles vom Grundsatz her nicht allzu schwer, so vervielfachen sich die Probleme in der Praxis. Denn es gab bei den Vornamen nicht nur die „üblichen“ Verkleinerungsformen, sehr viele Vornamen kamen auch in sonstigen Varianten vor, und das bei ein und derselben Person. Die unterschiedliche Verwendung hing offenbar nicht allein davon ab, wie der Betreffende sich selbst nannte, es stand wohl auch sehr viel mehr im Ermessen (und den persönlichen Vorlieben) des Anredenden, welche Variante er in der Anrede verwendete; nicht anders ist es jedenfalls zu erklären. dass bei manchem Registerführer jedes litauische „Ännchen“ grundsätzlich nur „Ennikke“, bei einem anderen grundsätzlich nur „Annusze“ hieß.

Wenn man sich dann noch vor Augen führt. dass nicht wenige Pfarrer und Präzentoren bei Registereintragungen litauische Namen „einzudeutschen“ pflegten, muss man auch damit rechnen, ein und dieselbe Person unter den verschiedensten Varianten – etwa als Ansas oder Hanskis oder Anskys oder Hanß oder Johann – in den Registern anzutreffen. Die vier verschiedenen Ännchens mögen noch leicht zu erkennen sein, und dass ein Mikkellis (= Michael) auch einmal nur Mikkel oder gar nur Miks oder Mikka genannt ist, drängt sich nach einiger Überlegung auch noch auf; die Identität eines Kristups mit einem Crisas oder einer Catarina mit Katuzze (oder gar nur Katsche) ist schon schwerer nachzuvollziehen.

Noch schwieriger ist es oft mit den Nachnamen, die ebenfalls nicht einheitlich auftauchen. Das liegt zum einen an der Orthographie, die damals – ohnehin nicht streng geregelt – mangels einer verbindlichen Umschreibung litauischer Laute zu unterschiedlichsten Schreibweise führte, je nachdem wer die Vermerke geschrieben hat. Und auch ein und derselbe Registerführer scheint sich nicht so sicher gewesen zu sein, kann es doch durchaus vorkommen, dass von ihm ein und derselbe Name unterschiedlich geschrieben wird.

Kompliziert wird es auch, wenn man die Namensendungen betrachtet. Grundsätzlich gilt bei litauischen Namen zwar, dass litauische Männernamen nur eine Variante haben, die in der Regel mit einem „-s“ endet (Endungen auf Vokal deuten darauf hin, dass der Name anderer – etwa pruzzischer, kurischer oder lettischer – Herkunft ist), während es bei den Frauen unterschiedliche Endungen für Verheiratete („-ene“) oder Unverheiratete („-ante“) gibt.

Als Grundregel ist das noch nachvollziehbar, aber es tauchen auch etliche Varianten auf, so etwa „-ate“, „-aicze“ oder „-ikke“ bei den ledigen Frauen. Und weitere Varianten gibt es durch die Schreibweisen der Registerführer, die durchaus häufiger noch ein deutsches Dehnungs-h einfügen – etwa Endungen wie „-ehre“ oder „-ahte“ – oder gar deutsche Endungen statt der litauischen verwenden (aus einer Guddaithene wird dann etwa eine Guddaitin oder Guddaitsche).

Aber damit noch nicht genug:

Zumindest bis weit in das 18. Jahrhundert hinein waren die Familiennamen flexibel. Dabei sei zum näheren Verständnis vorweggeschickt, dass die bei litauischen Namen immer wieder anzutreffende Endung „-aitis“ (für Männer) bzw. „-eile“ (für Frauen) im weitesten Sinne die Herkunft kennzeichnet, wobei diese unterschiedlicher Art sein kann: Der Name .Kuppraitis“ deutete ursprünglich ganz konkret an, dass jemand aus Kuppren kam, der Name „Adomaitis“, dass der Betreffende Abkömmling eines Adam (lit.: Adoms) war.

Nachnamen waren noch im beginnenden 18. Jahrhundert nicht so fixiert wie heute, denn es lag ein anderes Grundverständnis vor: Anders als in späteren Zeiten, in denen der Nachname mit der Geburt festgelegt war und sich (abgesehen von Frauen im Falle der Eheschließung) nicht mehr änderte, gewissermaßen Teil der Identität war, stand der Zweck des Nachnamens, dem Umfeld die Zuordnung einer Person zu ermöglichen, im Vordergrund; veränderte Verhältnisse oder Sichtweisen führten entsprechend zu unterschiedlichen Bezeichnungen. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die verschiedenen Endungen zur Kennzeichnung weiblicher Personen. Denn die Bezeichnung einer Frau Engel als „Engelin“ oder einer Frau Grunds als .Grundtsche“ war im heutigen Sinne nicht Nachname, sondern nur eine Ausdrucksweise, um kenntlich zu machen, dass die Betreffende weiblichen Geschlechts war und zur Familie Engel oder Grund gehörte.

In gleicher Weise war es für litauische Ohren letztlich gleichgültig, ob die Zugehörigkeit durch die Endung „-aite“, „-aicze“ oder „-ikke“ zum Ausdruck gebracht wurde. Entsprechend kam es entscheidend auf die persönlichen Gepflogenheiten des Registerführers an, wie er die Abstammung formulierte, wobei es sicherlich auch vorkam, dass die Pfarrer und Präzentoren – seinerzeit ausschließlich deutschstämmig mit unterschiedlich fundierten Litauischkenntnissen – die Aufzeichnungen gemäß dem vornahmen, wie sich der/die Betreffende selbst bezeichnete.

Aus ähnlichen Überlegungen erklärt sich auch der Umstand, dass – je weiter man in den Registern zurückgeht – zunehmend solche Formulierungen auftauchen wie „die alte Makksche“ oder „der alte Guddait“ oder „Miks, der Hirte“. Namensrechtlich sind solche Ausdrucksweisen ein Unding und für Ahnenforscher, die bei solchen Kennzeichnungen an das Ende der Fahnenstange gelangen, eine Katastrophe. Aus damaliger Sicht und im damaligen Umfeld waren derlei Bezeichnungen aber vollkommen eindeutig und mithin (für den Registerführer) ausreichend, weil bei den Insidern kein Zweifel aufkommen konnte, wer gemeint war.

Ein und dieselbe Person konnte auch unter verschiedenen Nachnamen im Register auftreten. Man nehme das Beispiel eines Dowids Krutins, der Söhne und Töchter hatte, die zunächst den Nachnamen Krutinaitis bzw. Krutinaite führten. Starb der alte Dowids Krutins, so wurde der – regelmäßig älteste – Sohn vom Krutinaitis zum Krutins, musste er doch nicht mehr über die -aitis-Endung als jemandes Abkömmling definiert werden. Konnte es hiernach vorkommen – und geschah auch regelmäßig -, dass jemand vom Kristups Krutinaitis zum Kristups Krutins mutierte und entsprechend unter unterschiedlichen Namen in den Registern verzeichnet wurde, so war das freilich nicht zwingend; denn wenn etwa der Name mit der „-aitis“-Endung lange Gültigkeit hatte und die Umgebung sich an ihn gewöhnt hatte, wird sicher mancher Kristups Krutins auch weiterhin unter dem alten Namen Krutinaitis im Register auftauchen.

Der angesprochene Kristups Krutinaitis kann im Kirchenregister auch unvermutet als Kristups Dowidaitis verzeichnet sein, weil sein Vater mit Vornamen Dowids hieß. Im Übrigen gab es gelegentlich auch solche Fälle, wie es sie auch heute noch in manchen ländlichen Gegenden Deutschlands gibt, dass Personen einen offiziellen Namen und einen Dorfnamen hatten. die völlig unterschiedlich lauten konnten. Wenn in derlei Fällen heutzutage auch nur der offizielle Name in den amtlichen Registern auftaucht, so kann dies in Registern früherer Jahrhunderte zu viel Verwirrung bis zur Unaufklärbarkeit der Beziehungen führen. In solchen Fällen ist es hilfreich, wenn der Registerführer – wie auch hier gelegentlich – vermerkt. dass eine Person auch unter anderem Nachnamen bekannt ist.

Der Kompliziertheiten ist damit nicht genug, denn es gibt noch die Endungen „-zent“ und „-preuksz“, deren Bedeutung man kennen sollte. Die erste Endung deutet darauf hin, dass der Betreffende der Schwiegersohn eines anderen war, die zweite Endung lässt erkennen, dass der Betreffende eine Witwe geheiratet hat. Die Fälle, dass die Zuordnung einer Person über eine dritte, am Vorgang nur mittelbar beteiligte Person stattfindet, dürfte insbesondere dann vorgekommen sein, wenn der Kindesvater/Bräutigam nicht aus dem Sprengel kam (dort also zunächst einmal kaum bekannt war), während der Schwiegervater (im Fall des „-zents“) bzw. der verstorbene Ehemann der Witwe (im Fall des „-preuksz“) vor Ort eine so bekannte Persönlichkeit darstellte, dass es sich der Einfachheit halber anbot, den „eingeheirateten Fremden“ über die bekannte Persönlichkeit vor Ort zu definieren. Man muss als Ahnenforscher schon das Glück haben, dass das Treuregister noch vorliegt und die Eheschließung als solche zu finden ist, weil dort regelmäßig die Abstammungen beider Brautleute aufgeführt und der spätere „-zerrt“ oder „-preuksz“ noch mit seinem eigentlichen Geburts-Namen zu finden ist.

Gelegentlich kann der scheinbare Nachteil auch zum Vorteil ausschlagen: War es etwa so, dass die Endung „zents“ (korrekt wäre eigentlich „žentas“, wie es noch heute im Hochlitauischen heißt) nicht an den Vor-, sondern – was durchaus vorkam – an den Nachnamen des Schwiegervaters angehängt wurde, so kann man etwa bei einem Taufeintrag auch klare Rückschlüsse auf den Mädchennamen der Kindesmutter ziehen, die zu den Zeiten. als die „zents“-Endung noch gang und gäbe war, in den Kirchenbüchern regelmäßig nur mit ihrem Vornamen angegeben wurde.

Die Dinge sind fließend. Und so hat sich das Nachnamensverständnis mit der Zeit von einer bloßen einleuchtenden Zuordnung zu einem Teil der Identität verlagert. Spätestens mit dem Siebenjährigen Krieg, als die Bevölkerungsverschiebungen so gravierend waren. dass eine Kennzeichnung der Personen nach dem bloßen Dorfverständnis nicht mehr ausreichte, hat sich wohl auch das Nachnamensverständnis grundlegend geändert. Ab dieser Zeit etwa kann man davon ausgehen, dass es bei einem einmal zugeordneten Nachnamen auch für die Zukunft geblieben ist.

In diesem Zusammenhang sei ergänzend darauf hingewiesen, dass litauische Familiennamen – wie im Deutschen auch – oft von Berufen abgeleitet sind. Anders als bei der Ableitung von Vornamen (etwa „Dowidaitis“ von „Dowids“) oder von Ortsnamen („Labbaitis“ von „Labten“) kann man das in der Regel als deutscher Muttersprachler nicht erkennen. Bei Namen wie Cimmermonaitis oder Schneideraitis mag es noch einfach sein (sie leiten sich zwar letztlich vom deutschen Zimmermann bzw. Schneider ab, jedoch wohl nicht unmittelbar von den entsprechenden deutschen Familiennamen, sondern wohl erst auf dem Umweg über entsprechende Berufsbezeichnungen, die als Lehnworte auch in die litauische Sprache gelangt sind). Es gibt jedoch eine ganze Reihe von weiteren litauischen Familiennamen, die in den Registern immer wieder auftauchen und die ebenfalls von einer Berufsbezeichnung abgeleitet sind. Insoweit wären etwa zu nennen: Audejas (Weber), Balnus (Sattler), Butkeraitis (Böttcher). Diszeratis (Tischler), Geldzus (Schmied, Eisenkrämer), Kalwis/Kalwaitis (Schmied), Kehllos (Pfannenschmied), Krageniraks (Kannengießer), Kabullos (Böttcher), Kumetis (Knecht). Kurpius/Kurps/Kurpaitis (Schuster), Podszus (Töpfer), Radszus (Radmacher) oder Sziksnus/Sziksznaitis (Lederer) (Liste erstellt auf der Grundlage des Beitrags von Schiller, Berufsnamen im Preussisch-Litauischen, Acta Linguistica Lithuanica LXVI, 48 ff).

Manche dieser Namen tauchen in den Registern mit der Berufsbezeichnung als solcher auf, andere mehr mit der Ableitungsendung „-aitis“ / „-aite“. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die immer wieder einmal anzutreffenden mehrfachen Namen („Alias“-Namen), vor allem in der Frühzeit der hier veröffentlichten Register. Hieß etwa ein Schmied (lit. = kalwis) „Dowids Bruisze”, so konnte sein Sohn im Umfeld sowohl als Sohn des Dowids (Dowidaitis) wie auch als Sohn des Bruisze (Bruiszaitis), aber auch als Sohn des Schmiedes (Kalwaitis) bekannt sein.

Verwirrend für den deutschen Muttersprachler wird es auch sein. dass Namen auftauchen, deren erster Teil durchaus geläufig ist, die aber eine unbekannte Endung aufweisen und scheinbar auf eine andere Person (mit ähnlichem Namen) hindeuten. Dieses Phänomen hat seine Erklärung in der litauischen Sprache und findet sich ausschließlich dort, wo der Registerführer das Litausche souverän beherrschte und Einträge, die sich mit „Litauern“ befassten, ganz oder teilweise in dieser Sprache abzufassen pflegten:

Man muss wissen. dass im Litauischen – anders als im Deutschen – Namen wie „normale“ Substantive dekliniert werden; sind sowohl Vor- als auch Nachnamen angegeben, so unterliegen ggf beide der Flektion. Ist etwa in einem Eintrag die Rede vom „Sohn des Milkus Labbaitis“, so bleibt der Name des Vaters, wenn der Eintrag auf Deutsch abgefasst ist, unverändert; ist der Eintrag hingegen auf Litauisch geschrieben, so heißt es plötzlich „Milkaus Labbaiczio sunus“. Hieraus folgt: Bei „komischen“ Namensendungen kann man in der Regel davon ausgehen, dass es sich lediglich um eine Flektionsform – in der Regel um die Genitivendung – eines (in der Grundform durchaus bekannten) Namens handelt.

Nur der Vollständigkeit halber: Ähnliche „Verwirrung“ taucht bei Ortsnamen auf, die ebenfalls wie Personennamen durchdekliniert werden. Das litauische „isz“ (= von, aus) erfordert grammatikalisch den Genitiv, und die Frage „kur“ (= wo?) erfordert den (im Deutschen unbekannten) sogenannten „Lokativ“; beide Kasus haben ihre eigenen Endungen, die in den Kirchenregistern von Preußisch Litauen immer wieder auftauchen und die Frage, um welchen Ort es sich jeweils handelt, vernebeln können.


[1] http://www.maryke-bruiszate.de/#aufsaetze